TIEFES LICHT
von Marcus Schramm
Striche flirren, Farben fließen ineinander, schichten und stapeln sich, Punkte funkeln dazwischen. Farbstoppeln hoppeln über Pigmentfelder, springen nach vorn und nach hinten, und verschwinden im Untergrund. Aus der Tiefe des Bildes steigt etwas empor, verdichtet sich, deutet sich an und löst sich unbemerkt wieder auf. Wo ist es denn hin? Oder besser – Was war es?
In den Bildern von Astrid Brünner verbinden sich Farbstücke zu Farbfeldern, leuchtende Schichten treiben an die Oberfläche und lassen Einblicke in dunkle Tiefen zu.
Die Künstlerin nutzt für ihre Arbeiten Glasscheiben, die sie von beiden Seiten malerisch bearbeitet. Hierdurch erhalten die Bildwelten eine wirkliche und eine sinnliche Dimensionalität, die Farben ihre transluzente Wirkung. In den Bildern bleibt dabei der malerische Prozess sichtbar und wird selbst Thema und Gegenstand des Bildes – trotz Überlagerungen bleibt Unter- und Hintergründiges sichtbar. Jeder Ansatz ist eine Reaktion auf Vorhergehendes oder Umgebendes. Dies zeigt sich als ein Spiel der kontrastierenden Ergänzungen und des kompositorischen Wechsels. In den Bildern finden sich weiche Bereiche und harter Duktus, werden ruhige Flecken und laute Ecken sichtbar, wechseln sich simultane und komplementäre Farbkontraste ab. Mit intensivem Strich und sensibler Akzentuierung und sicherem Gefühl für eine spannungsvolle Komposition gestaltet die Künstlerin ihre Bilder. Sie hat dabei nicht etwas Abbildhaftes oder Darstellbares, sondern nichts weniger als das Wesentliche eines Eindrucks im Blick – Van Gogh abstrakt.
Das Bild lebt fast – ist lebendig im Machen, als Reaktion auf Bestehendes und Ergänzung von Neuem. Es wird lebendig im Sehen – im Eintauchen unter die Oberfläche, im Schweben des Blicks durch die Ebenen und im Entdecken des Unsichtbaren. Die Malereien von Astrid Brünner wecken Verlorenes und Vergessenes, locken innere Bilder aus dem weiten Kosmos der Erinnerungen hervor und lassen ein Gefühl an tiefe, versunkene und unscharfe Bildwelten spürbar werden.
Es ist das, was wir träumen zu sehen.
Marcus Schramm M.A. (*1976) studierte Kunstpädagogik, Philosophie und Kommunikationswissenschaften und arbeitet in Greifswald als Galerist, Künstler und Kunstpädagoge.